Unsere 7-14-7-Schreibübung
Hallo zusammen!
Heute geht es um die 7-14-7-Schreibübung in unserem Schreib-Forum.
Normalerweise präsentiere ich euch eine Geschichte und dann erwähne ich danach kurz, in welchem Zusammenhang sie entstanden ist. Die eine oder andere Geschichte, die bei unserem Schreiben gegen die Zeit entstanden ist, habe ich auch schon hier gepostet.
Diesmal zäumen wir das Pferd von hinten auf – oder besser gesagt jetzt mal wirklich von vorne.
Zunächst zum Ablauf
Unsere monatlichen 7-14-7-Übungen sind jedes Mal andere Aufgaben. Ihren Namen haben sie von ihrem Rhythmus:
7 Tage lang stehen 3 Aufgaben zur Wahl, über die abgestimmt wird. Wer hier mitbestimmt, verpflichtet sich zur Teilnahme an der Übung, auch wenn eine andere Übung die Abstimmung gewonnen hat als die, die man favorisiert hat.
14 Tage lang wird geschrieben und bei den Fremdtexten kommentiert. Wer will, darf seinen Text überarbeiten. Aber wollen wir das nicht alle? Diese Textarbeit kann sehr intensiv werden und auch viel Zeit beanspruchen, da man vorher ja nie genau weiß, wie viele User diesen Monat an der Übung teilnehmen werden. Man sollte also nur in einem Monat mitmachen wollen, in dem man auch wirklich Luft im Kalender hat.
7 Tage lang wird danach darüber abgestimmt, welcher Text am besten gefallen hat. Es ist also auch ein kleiner Wettbewerb, bei dem es allerdings außer Erfahrung und Applaus nichts zu gewinnen gibt. Das Abstimmen an sich schult jedoch das kritische Auge und vermittelt einem die Schwierigkeit beim Einordnen von Texten anhand ihrer Qualität, der genauesten Befolgung der Aufgabenstellung oder man kürt einfach die Geschichte, die ganz subjektiv am unterhaltsamsten war. So ist man auch Teil einer Jury.
Alle User dürfen Vorschläge einreichen und ich will euch heute mal an einem Beispiel einer meiner Übungen demonstrieren, wie eine solche Aufgabenstellung aussehen kann und was da mitunter herauskommen kann.
Am Ende dieses Beitrags winkt also eine kleine Geschichte, wenn man das Ergebnis der Fingerübung denn so nennen mag.
Eine beispielhafte Aufgabenstellung
Schreibt zwei kleine Szenen. Die Handlung muss identisch sein. Der Unterschied zwischen beiden Szenen soll lediglich in der Wahrnehmung Eurer Hauptfigur liegen. Zeigt diesmal die Sicht einer optimistischen und die einer pessimistischen Person.
Textlänge
mindestens 250 Wörter pro Szene
Diese Aufgabe wurde von meiner Wenigkeit vorgeschlagen. Zur Wahl standen ebenfalls die Varianten „Blickwinkel Alter“ – hierbei musste eine Person mindestens 65 Jahre alt sein, die andere höchstens 10 – und „Blickwinkel (typische) Geschlechterrollen“, dabei durfte man wählen, ob man „die beiden althergebrachten Geschlechterrollen“ gegenüberstellen möchte oder ob eine Person diese völlig ablehnt.
In allen drei Varianten sollte die Handlung identisch sein und die Szene sollte sich nur durch die Wahrnehmung der gegensätzlichen Figuren unterscheiden.
Meine Lösung der Aufgabe:
Das Flugblatt
pessimistisch
Nichts war mehr da. Gar nichts! Sie würden alle elendig zugrunde gehen. Alles hatten die Heuschrecken kahl gefressen. Alles! Da hatte man gelacht über die biblischen Plagen, weil sich niemand hatte vorstellen können, dass diese Biester den gesamten Planeten zugleich befallen könnten. Und jetzt?
Vor mir auf dem staubigen Boden lag ein schmutziges Stück Papier. Ich drehte und wendete den Flyer misstrauisch und beäugte ihn von allen Seiten. Wo der wohl hergekommen war?
»Wir laden Sie herzlich ein, unsere Kommune bei der Aussaat, Hege und Ernte zu unterstützen. Für einen gemeinsamen Neustart. Kommen Sie zur großen Senke. Für Ihr leibliches Wohl ist gesorgt.«
Mein leibliches Wohl … Was sollte dieser Aufruf? Sollten jetzt alle wie in der Steinzeit auf Knien rutschen, uns die Hände schmutzig machen, nur um darauf zu hoffen, dass ein paar kümmerliche Reste von Samen aufgehen würden? Es würden sich doch ohnehin alle die Köpfe einschlagen, um etwas davon abzubekommen. Und wie sollten sie die Zeit bis dahin überstehen? Bis man was auf dem Acker ernten konnte, dauerte es doch, keine Ahnung, ein Jahr oder so.
Das konnte doch nur eine Falle sein. Irgendeine Sekte von Menschenfressern, die auf diesem Weg nach gutgläubigen Opfern suchte. Das würde ich mir ansehen. Solche Leute mussten aufgehalten werden. Ich steckte den Zettel ein.
Die Senke fand ich zu meiner Überraschung verschlossen vor. Alles war überdacht mit einem Sammelsurium aus Glas, Plastik und Folien. Ein riesiges Gewächshaus. Als ob es nicht außerhalb schon heiß genug wäre.
Jemand kam auf mich zu und ich wurde aufs freundlichste Willkommen geheißen.
optimistisch
Wir befanden uns am Anbeginn einer neuen Zeit. Die Heuschrecken hatten alles kahl gefressen und damit dem bisherigen weltweiten Handel die Grundlage entzogen. All die bisherigen Machtverhältnisse waren zerstört und alle Nationen zogen jetzt an einem Strang. Das war die Gelegenheit, endlich auch mit der Natur im Einklang zu leben und die Ressourcen fair zu verteilen.
Als mein Blick auf ein Blatt Papier auf dem Boden fiel, hob ich es auf und konnte mein Glück nicht fassen, als ich es als ein Flugblatt erkannte. Es war eine Einladung, sich einer Kommune anzuschließen, die alle willkommen hieß. Ich freute mich schon darauf, mit meinen Händen in der Erde zu graben und meine Nahrung die Fortschritte meiner heranwachsenden Nahrung zu beobachten. Sicher hatte man auch eine Lösung gefunden, das Wachstum der Pflanzen umweltverträglich zu beschleunigen. Ich brannte darauf, alles herauszufinden. Sorgfältig säuberte ich den Flyer so gut es ging, faltete ihn zusammen und steckte ihn ein. Dann machte ich mich auf den Weg zur großen Senke.
Schon aus einiger Entfernung erkannte ich, dass man ein riesiges Gewächshaus gebaut hatte, in dem man alle möglichen geeigneten Teile herangetragen und für eine Überdachung der Senke verbaut hatte. So gab es schattige und sonnige Lagen und die Feuchtigkeit wurde drinnen gehalten. Bei Bedarf konnte auch gelüftet werden. Das war wichtig, denn nachts konsumierten die Pflanzen ja eben den Sauerstoff, den sie tagsüber produzierten.
Während ich noch bewunderte, was die Angehörigen der Kommune geschaffen hatten, kam jemand auf mich zu und hieß mich aufs freundlichste Willkommen.
Gemeinsame Handlung
Heuschrecken haben alles kahl gefressen.
Ich finde einen Flyer auf dem Boden. Ich sehe mir den Flyer an. Ich stecke den Flyer ein. Ich suche den angegebenen Ort auf. Ich werde willkommen geheißen.
Wie ist mir das gelungen?
Das Setting mit der weltweiten Heuschreckenplage habe ich aus einem Wettbewerbsaufruf des Hirnkostverlags entnommen (Klimazukünfte 2050), weil ich dachte, das könnte mir ein Plotbunny bescheren, weil ich bei diesem Wettbewerb nämlich gerne mitgemacht hätte.
Dann habe ich eine ganze Weile geknobelt, wie ich das hinkriegen kann, dass sich nicht die Handlung ändert. Denn, wenn ich nun Pessimist oder Optimist bin, reagiere ich doch auf ein und dieselbe Situation ganz anders. Führe ich Gespräche, antworte ich anders, dann antwortet der andere wieder anders usw. – all das verändert die Handlung massiv, weil die Figuren sich unterschiedlich verhalten. Deswegen durfte es kein Dialog sein, wenn es plausibel bleiben sollte.
Schließlich habe ich mich auf eine einzelne Figur und deren Innenschau beschränkt. Zur Kontrolle habe ich die gemeinsame Handlung noch mit aufgeschrieben.
Ich finde, das Ergebnis kann sich sehen lassen. 🙂
Euer Ingo S. Anders
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