Gruselgeschichten – Schlaf, Monster, schlaf! (Teil 1)
Heute gibt es eine weitere Gruselgeschichte von Mika Nahrten für euch. Aufgrund ihrer Länge haben wir sie in zwei Teile gepackt.
Die Grafik stammt von Adobe Stock.
Viel Spaß beim Gruseln!
Schlaf, Monster, schlaf!
Von Mika Nahrten
Menschen träumen. Sie träumen von schönen Dingen, von einer rosigen Zukunft oder sie träumen des Nachts wirres Zeug. Manchmal plagen sie Albträume, doch es gibt auch Menschen, die träumen nichts. Nie mehr! Sie sind die Beraubten, die Ausgestoßenen und jeder spürt es, selbst, wenn sie es niemandem erzählen. Etwas Unheimliches haftet an ihnen. Eine unangenehme Leere, die in ihrem Blick liegt, ins Unterbewusstsein ihrer Mitmenschen kriecht und sie rastlos zurücklässt.
Doch die, die heute traumlos sind, waren nicht immer so. Einst flogen ihre Gedanken höher, waren rosaroter und nur selten von Ängsten begleitet. Und dann kam sie … plündernd, raubend, quälend!
Man hatte ihm längst nicht alles gesagt, darüber war er sich im Klaren. Bis vor wenigen Wochen hatte er nicht einmal gewusst, dass es so etwas wie ein internationales Traumdezernat gab. Als ihm sein Dezernatsleiter die Versetzung hin zur Abteilung Träume mitgeteilt hatte, war ihm sein Kaffee aus der Nase gespritzt. Doch sein Chef machte ihm sehr schnell klar: Er meinte es ernst. Dreiundzwanzig Jahre Drogendezernat waren mit einem Fingerschnippen verpufft.
Da stand er also inmitten des gemauerten Altbaus und hielt die Kellerluke mit seinen zitternden Händen offen. Als er in die Tiefe hinabblickte, wehte ihm ein kalter Hauch entgegen. Wispernde Stimmen versuchten ihn zu warnen. Er konnte nicht verstehen, was sie flüsterten, aber die Botschaft war eindeutig: Wenn er sich diese Stufen hinabwagen sollte, würde er das Tageslicht womöglich nie wieder erblicken. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum. Es half alles nichts. Er brauchte dringend ein paar Punkte auf seinem Karmakonto, auf dem er schon seit langem den Dispokredit überstrapaziert hatte.
Stufe für Stufe setzte er seine turnschuhbewehrten Füße leise knirschend auf. Alle paar Schritte lauschte er ins Dunkel. Nichts.
Er ging alles noch einmal durch, was ihm sein neuer Chef eingetrichtert hatte: „Du musst sie finden und die Träume befreien. Sie ist hochgradig gefährlich! Erwischt sie dich, ist es dein Ende.“
Eine Mannschaft aus einem Dutzend Spitzenleuten hatte das Versteck der Kreatur ausfindig gemacht, analysiert und alle Daten zur Verfügung gestellt, die sie hatten in Erfahrung bringen können.
Aber nun benötigten sie ein Bauernopfer. Jemanden, der zwar gut in seinem Job war, aber ohne den die Welt ansonsten auch ganz gut zurechtkam. An dieser Stelle war er ins Spiel gekommen. Ein Workaholic, der nichts zu verlieren hatte. Beziehungen, Familie und Freundschaften … all das hatte er schon lange hinter sich gelassen. War in eine einsame Welt abgetaucht. Seine Welt, die nur noch aus seinem Job bestand.
Er stieg die letzte Stufe hinab. In die Finsternis dieser Ruine aus unbekannten Zeiten. Die Untersuchungen der Experten hatten keine Ergebnisse geliefert. Das Gemäuer und dessen Entstehungszeitraum waren nicht zu datieren.
Ihm wurde kälter. Das hatten sie ihm vorausgesagt und betont, dass es ganz schnell in eine enorme Hitze umschlagen konnte, wenn sie in die Nähe käme. Eine kleine Beruhigung, zumindest vorgewarnt zu werden, bevor er verloren sein würde.
Nervös kramte er das Gefäß mit dem Lockmittel hervor. Eine Tinktur aus Mohnsamen, Johanniskraut und Baldrian. Er umklammerte das Fläschchen fest und ging weiter.
Die Gänge waren gespenstisch leer. Spärlich gab die Stirnlampe die Geheimnisse des unterirdischen Verlieses preis. Während seiner Erkundung klebte er kleine Pfeile an die Ecken, bevor er abbog. Leise Geräusche durchbrachen die Stille. Wimmern? Flehen? Ein Rasenmäher?
„Du wirst ihr Nahen an der steigenden Lautstärke erkennen“, hatten sie zu ihm gesagt.
Er schaltete das Schallpegel-Messgerät ein. Die Skala leuchtete hellgrün auf.
Noch immer fror er. Das beruhigte ihn ein wenig. Gerade klebte er einen weiteren Pfeil an die Mauer, als das Messgerät bis ins Orange ausschlug. Kettensägen, Meeresrauschen und ein Schrei, der ihm eine Kerbe in den Gehörgang schlug.
Zögernd folgte er den immer lauter werdenden Tönen. Seine Füße schlurften über den Boden, zogen Schneisen in den uralten Staub.
Der Strahl seiner Stirnlampe verlor sich in der Tiefe des Ganges. In immer kürzeren Abständen reihten sich Türen aneinander. Jede war anders. Massives Eichenholz, Pressspan, gestrichenes Metall, Glas, eckig, mit Rundbögen … so ging es ewig weiter.
Er schlich an ihnen vorüber. Kleine Wölkchen seines Atems stiegen empor. Die Luft wurde wieder kälter. Vorsichtig lauschte er an einer Pressspantür. Ein leises Plätschern. Bald erreichte er eine Glaspforte. Als er hindurchblickte, gefror ihm beinahe das Blut in den Adern.