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Voidcall: Das Rufen der Tiefe – Kapitel 12 – Die Erdentilger

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Posted By Corvus

Die Manticor segelte galant in die Stratosphäre und ließ den Wolkenschleier des Planeten schnell hinter sich. Archweyll machte es sich auf der Brücke bequem, während die Atharymn immer größer wurde. 
Endlich lasse ich dieses verdammte Höllenloch hinter mir. 
Im Warp fühlte er sich wie zuhause, jedes Sternenfunkeln bedeutete ein Stück Heimat zu erblicken. 
Clynnt Volker trat an ihn heran. »Sie ist aufgewacht«, flüsterte er dem Kommandanten ins Ohr. 
»Ich danke dir«, erwiderte Archweyll und ließ sich entschuldigen. Während er nach hinten eilte, merkte er, wie Nervosität in ihm aufkeimte. Wie würde sie reagieren?
Tamara lag in einer offenen Schlafnische, ihr Kopf ruhte auf einem weichen Daunenkissen. 
Um ihre Stirn war eine Bandage gewickelt, die auch die Augen bedeckte und ein Zugang versorgte sie mit den notwendigen Elektrolyten. Die Schwellungen waren zurückgegangen und die Krampfadern verblasst. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem flachen Rhythmus. Als der Kommandant eintrat, sah sie sich irritiert um.
Es zerriss Archweyll das Herz. Er konnte nicht anders, als sich eine Träne zu verdrücken. Dann griff er sich einen fest montierten Rollsessel und setzte sich neben sie. 
»Arch?«, flüsterte die Stoßtruppführerin mit zittriger Stimme. Ihre Hände griffen ziellos durch die Luft, um wenigstens etwas auszumachen. 
»Ich bin hier«, sagte er sanft und ergriff ihre Hand.
Instinktiv schien Tamara sich zu beruhigen. »Kann ich nicht den Verband abnehmen? Ich finde ihn furchtbar«, seufzte die junge Frau und griff mit der freien Hand nach ihren Bandagen, doch Archweyll hielt sie fest. Er holte tief Luft.
Er konnte durch den Warp reisen und Schlachten führen, doch auf diese Prüfung war er nicht vorbereitet. Er fühlte sich hilflos und entwaffnet und seine Brust drohte vor Kummer zu zerreißen. »Tamara…ich…«, begann er zu stottern. 
»Du lebst«, ihre wunderschönen Lippen formten ein bedingungsloses Lächeln. »Wie schön.«
Jetzt kam ihm doch eine Träne. Archweyll war froh, dass ihn so niemand sehen konnte und in der nächsten Sekunde strafte er sich schon dafür, auch nur diesen Gedanken geformt zu haben. »Weißt du noch, wie wir uns das erste Mal getroffen haben?«, fragte er sie stattdessen, um irgendwie eine Brücke zwischen ihnen zu schaffen. 
»Wie könnte ich das vergessen«, kicherte sie spitzbübisch. »Ich habe dir eine reingehauen.«
»Ich habe eine Affinität mich in Schwierigkeiten zu bringen«, lächelte er matt. 
Und eine Affinität andere mit hineinzuziehen. 
Er ballte die Faust bis es wehtat. 
Das darf nie wieder passieren. Was für ein Kommandant lässt zu, dass seinen besten Leuten so etwas passiert? 
»Das stimmt. Ich fand das immer sehr bemerkenswert«, sagte Tamara und ihr Griff um seine Hand wurde etwas stärker. 
Er betrachtete ihre feuerrote Mähne und wollte sie schon streicheln, als ein innerer Instinkt ihn zurückfahren ließ. 
Du hast noch etwas zu erledigen. 
»Haben wir unsere Mission erfüllt?«, fragte die Stoßtruppführerin kaum vernehmbar.
»Das Skelett ist in die Tiefe gestürzt, aber die Frequenzen wurden trotz der Torpedierung weiterhin versendet. Sogar vermehrt. Ich hoffe, wir handeln uns damit keinen Ärger ein.«
Sie nickte matt. »Verstehe«, gab sie zurück.
Archweyll wusste sofort, dass es sie genauso ärgerte wie ihn. »Ich denke, es waren irgendwelche hochentwickelten Stoffe in den Knochenzellen, die sie in gewisser Weise zum Sprechen gebracht haben«, überlegte der Kommandant laut. »Ein Funksender im Gerippe, eindeutig praktisch.«
Wie lange willst du es noch hinauszögern, du alter Narr? 
»Was haben die Behörden gesagt?«, erkundigte sich Tamara. 
»Sie wollten Clynnt nicht glauben. Herr im Himmel, ich habe noch nie ein Lebewesen so üble Flüche und Verwünschungen per Funk versenden hören. Er hat mir die Aufzeichnungen gezeigt. Allerdings sind sie relativ kleinlaut geworden, als er ihnen die Scans übermittelt hat. 
Prospecteus wurde in Alarmbereitschaft versetzt.« 
Sie quittierte ihn mit einem schwachen Nicken. »Dann haben wir zumindest etwas erreicht«, seufzte sie. 
»Und dafür einen hohen Preis bezahlt.« Es war an der Zeit, sich dem Thema zu stellen. »Was du getan hast …«, begann er, doch sie winkte ab. 
»Was ich getan habe, hast du auch getan. Sonst wäre ich nicht hier, schon lange nicht mehr. Es ist etwas selbstverständliches.« 
Sein Griff wurde fester, bis Archweyll merkte, dass er zitterte. »Ich wusste direkt, dass du besonders bist«, gestand er und plötzlich merkte er, dass seine Kehle trocken wie Wüstenstaub war. 
»Deswegen hast du dir auch eine gefangen«, schmunzelte Tamara liebevoll. 
»Was ich dir sagen werde, wird dich möglicherweise schockieren«, Archweyll holte tief Luft.
»Es ist doch niemand gestorben?«, fragte Tamara erschrocken. 
Selbst jetzt sorgt sie sich noch mehr um ihre Leute, als um sich selbst. Verdammt Archweyll, warum nur kannst du es ihr nicht so vergüten, wie sie es verdient hätte? 
»Nein …«, begann er zögerlich. »Es ist so: du warst dort unten sehr lange dem Wasserdruck ausgesetzt. Ich habe sofort versucht dich da rauszuholen, aber ich war zu spät. Bitte verzeih mir.«
»Wieso warst du zu spät?« 
Sie weiß es noch nicht.
Um Archweyll schien sich alles zu drehen, während er ihr erklärte, was die Folgen ihres Abenteuers sein würden. 
Als Tamara seine Worte vernahm, wurde sie leichenblass. 
Jedes gesprochene Wort trieb einen Keil in Archweylls Brust, der sein Herz durchbohrte. 
Tamara nahm es kommentarlos entgegen, doch er bemerkte, wie ihr ganzer Körper unter einem Zittern erbebte. 
Sie weint, wurde ihm klar.
Sachte strich er über ihre Hand. 
»Ich werde alles erdenkliche geben, damit du wieder gesund wirst. Ich werde dich nicht verlieren, hörst du?« 
Schluchzte ich gerade? 
Vermutlich war es sein Körper nicht mehr gewöhnt, Emotionen dieser Art zu verarbeiten. 
Oder ist es, weil sie mich schwach macht? 
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass dieser Gedanke falsch war. 
Sie macht mich stark, wurde ihm deutlich, bei dem Gedanken an die seltsame Stimme in seinem Kopf, als er fast vor dem Scheitern stand. Das war sie gewesen.
»Was wird jetzt geschehen?«, fragte Tamara und Verzweiflung kam in ihrer Stimme auf. 
Soldaten, die nicht mehr kampffähig waren, wurden gnadenlos ausgemustert. 
»Werde ich dich verlassen müssen? Wir haben doch gerade erst angefangen. Ich kann kämpfen, ich werde es dir beweis…«, überrascht verstummte sie, als Archweyll sie in seine breiten Arme schloss und sie zärtlich an sich drückte.
»Wir finden einen Weg«, sagte er. »Verlass dich auf mich.« 
Nach einer Sekunde der Überraschung erwiderte sie seine Annäherung und versank seufzend in seiner Umarmung. So sollten sie den Rest des Fluges verbringen, bis sie die Atharymn erreichten.

 »Bebsy, ich bin zuhause!«, frohlockte Archweyll mit dröhnender Stimme, als er die Kommandobrücke betrat. 
Die Mannschaft begrüßte ihn mit jubelndem Beifall. 
»Aber, aber, ich werde ja scharlachrot!«, feixte er weiter. Dann wurde sein Blick ernst. »Wir sollten verschwinden«, rief er den Navigatoren zu. »Clynnt, an die Arbeit. Du trödelst mir schon viel zu lange hier herum.« 
Er richtete seinen Blick in den Warp, der mit seinen grenzenlosen Möglichkeiten vor ihm lag. Und erstarrte.
»Das … Das kann doch nicht sein« Archweylls Stimme war kaum mehr als ein Wispern. 
Auf der Brücke war es plötzlich totenstill. Sämtliche Arbeit wurde zugunsten eines Blickes aus der Frontscheibe eingestellt. 
Der Kommandant bemerkte, wie ein kalter Schauder seinen Rücken herunterlief und, wohin er auch kam, eine Gänsehaut hinterließ. Entsetzt taumelte er ein paar Schritte rückwärts. 
»Das kann doch nicht sein«, wiederholte er sich.
Das Entsetzen wurde allmählich zur Panik, als die Kreatur am Horizont größer und größer wurde. 
Und größer. Und größer. Und GRÖßER! 
»Sofort Scannen, Maschinen auf volle Leistung und Zielkoordinaten festlegen«, befahl der Kommandant. Es hatte einiges an Überwindung gekostet, sich aus der Schockstarre zu lösen.
Er stürzte förmlich in die Navigatorenkabine. 
»Was ist das?!«, brüllte Clynnt ihm entgegen, mit einer Lautstärke, die Archweyll sich nie von ihm erträumt hätte. Der Blick des Chefnavigatoren vergrub sich tief in seinen Monitoren, um dann wieder panisch zu Archweyll zu wechseln, in der Hoffnung, er könne ihm die Frage jetzt beantworten. 
»Keine Ahnung, bring uns hier weg!«, fluchte der Kommandant lautstark zurück. Er betrachte den Scann und das Ergebnis ließ seinen Magen flau werden. 
Das Wesen besaß drei Köpfe, die übereinander angeordnet und an unterschiedlich langen Hälsen befestigt waren. Jeder Kopf besaß den Umfang eines mittelgroßen Meteors und war von riesigen gelben Flecken übersäht, die wohl so etwas wie Augen sein mochten. Der unterste Schädel war mit einem auffällig leuchtenden Edelstein versehen, der elektrische Ladungen von sich gab, die alleine gereicht hätten, um eine Großstadt mit Energie zu versorgen. Im massigen beschuppten Bauch der Kreatur maß der Scan weitere Energieladungen, die zu noch weitaus mehr fähig waren, und nebenbei noch so etwas wie untergeordnete Lebensformen, die es sich darin gemütlich machten. Die Mäuler des Monsters waren gigantisch, groß genug, um die Atharymn mit einem beiläufigen Happs zu verschlingen. Mehrere Fangarme- , oder Beine, glitten, einem Insekt gleichend, aus ihr hinaus. Auf dem Rücken saßen käferähnliche Flügel, die jedoch gerade nicht in Benutzung waren. Das gesamte Wesen schien mit gepanzerten Dornen übersäht zu sein. Energie trat aus Öffnungen am ganzen Körper der Kreatur aus und hüllte sie gänzlich damit ein, tauchte sie in einen matten elektrischen Schimmer, der wie ein eigener Stern erstrahlte und von ungeheurer Macht erfüllt war. Mit einer Länge von fast zweieinhalb Kilometern war dieser Koloss deutlich größer als ihr Fund unter Wasser. Diese Kreatur strotzte jeder Logik.
»Das ist der Papa!«, Archweyll wurde so panisch, dass er die Kontrolle über seinen Humor verlor. 
Mit den Armen rudernd, gab Clynnt Befehle in seine Konsolen ein. 
Plötzlich veränderte sich das Energiegefüge des ganzen Warps um sie herum und für eine Sekunde hatte Archweyll das Gefühl, als würden die Sterne der Galaxie ihren Glanz verlieren. Der funkelnde Edelstein auf der Stirn des Monsterkopfes schien die gesamte Energie der Sterne angezapft zu haben. Für den Bruchteil eines Momentes stand die Zeit vollkommen still. Dann ertönte ein Rauschen das All, als würden sämtliche Realitäten in sich zusammenfallen, während die Energie aus dem Edelstein impulsartig austrat und Nautilon in eine Welt aus Scherben verwandelte. 
Angesichts der Fragmentierung eines gesamten Planeten vor ihren Augen, erstarrte die Mannschaft zu Eis. Niemand wagte es zu sprechen oder gar laut zu atmen. Manche hatten die Hände fassungslos über den Kopf geschlagen, andere schüttelten stumm den Kopf oder wandten sich ab. Das war eine Macht, die ihr Verständnis übertraf. Eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. 
»Ich … wir … sollten verschwinden«, durchbrach Archweyll die Stille. 
Doch dann wurde ihm bewusst, was für ein schwerwiegender Fehler das wäre. 
Wenn sie jetzt fliehen würden, würde ihnen das Monster mühelos nach Prospecteus folgen. 
Und was dann geschehen würde, war kaum auszumahlen. 
Ein eiskaltes Gefühl umklammerte sein Herz, als Archweyll klar wurde, dass er seinen Heimatplaneten nie wiedersehen würde.

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