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Die Wölfe von Asgard – Das Koster (2/2)

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Snorri spürte, wie sein Herzschlag vor Aufregung gegen die Brust trommelte, als er das Kloster in der Ferne ausmachte, während er sich eifrig in das Ruder stemmte. Die Zeit war gekommen. Nun galt es für ihn, sich vor den Göttern zu beweisen, um ihre Gunst zu erlangen, damit sich eines Tages ihre Tore für ihn öffnen würden. Seine Hand wanderte für einen kurzen Moment zu seinem Schwert, bevor er wieder das Ruder griff, um nicht aus dem Takt zu geraten. Er fühlte sich bereit. Bereit, wie ein tapferer Seemann nur sein konnte. 
Sein Blick steuerte zu Knutson, der ihn bedächtig betrachtete.
»Nun, Snorri Naseweis, wird sich dir offenbaren, für welches Handwerk du bestimmt bist. Ist es das Schlachten? Ist es das Plündern? Oder ist es die Gnade?« 
Snorri runzelte die Stirn. Manchmal konnte sein Steuermann wirklich seltsam sein. »Ich werde tun, was ich tun muss«, erwiderte er achselzuckend. 
Dann bemerkte er, dass einer der Ustenströmer ihn mit einem vor Abscheu triefenden Blick betrachtete. 
Als er jedoch genauer hinsah, wendete der Mann sich ab.
Komische Vögel, alle miteinander. Nicht besonders helle und streitlustig obendrein. 
Er seufzte.
Islav wird schon wissen was er tut. Wenigstens haben sie seit unserem ersten Aufeinandertreffen nicht noch einmal versucht mich totzuprügeln.
Snorri richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den grünen Fleck, der immer näher an sie herankroch und mittlerweile eine graue Spitze in seiner Mitte aufwies. 
Das Kloster. Endlich. 

»Seichtes Gewässer voraus. Mast kippen und bereitmachen zum Anlanden!«, brüllte Knutson aus voller Kehle.
Sofort führten die Männer seine Befehle aus. 
Das Eiland, das sich nun vor ihnen erstreckte, bedeckten saftige grüne Weiden und auf einem Hügel über ihnen thronte das Kloster wie ein trotziger steinerner Wächter, der ihr Kommen bereits erwartete. 
Als Snorri genau hinhörte, vernahm er das Läuten einer Glocke. 
Sie wissen, dass wir kommen. Aber jetzt ist es zu spät für sie.
Das Schiff steuerte in eine Bucht. Von hier aus würden es ein Leichtes werden, den Hügel zu stürmen.
»Ruder einholen!« Knutson gab dem Steuer einen letzten Ruck, dann traf der Bug auch schon auf den weichen Küstensand und pflügte elegant durch ihn hindurch, bis das Boot schließlich zum Stillstand kam. 

Brüllend sprangen die Männer über die Reling, jene von den anderen Schiffen taten es ihnen gleich. Wie eine Flut aus Helmen, Schwertern, Speeren, Äxten und Schildern preschten sie den Hügel empor. 
Snorri stieg ein Gefühl in die Brust, das ihn federleicht machte. Unbesiegbar. Er rannte an die Spitze der Kolonne und war einer der ersten, der die massive Pforte des Klosters erreichte. »Verschlossen! Holt eure Äxte und zeigt diesen Mistkerlen, dass sie uns nicht aufhalten können!« 
Er wurde mit Gejohle quittiert, dann ertönte das erste Krachen, als die Waffen gegen das Holz donnerten. 
»Nehmt euch alles, was ihr greifen könnt! Jeder, der sich uns in den Weg stellt, ist des Todes!«, verkündete Islav lautstark. 
Dann gab die Pforte nach und mit einem Ächzen flog sie aus ihren Angeln.

»Hinein! Schlachte sie alle ab!« Magnars Stimme grollte als wäre er Tyr in Person. Sein eiserner Blick allein hätte gereicht, um ein Dutzend Feinde zu töten.
Plötzlich trat ein Mann in einer braunen Kutte aus der Dunkelheit hervor. Er hob beschwichtigend die Hände, kniete sich vor ihnen nieder und wiederholte Worte in einer fremdartigen Sprache. 
Magnar bäumte sich lachend vor ihm auf. Dann hackte er mit dem Schwert wieder und wieder auf ihn ein, bis von dem Mann nur noch abstrakte Fetzen und eine große rote Lache übrigblieben. 
»Das war der Erste!«, johlte er. Blutspritzer bedeckten sein gesamtes Gesicht und entstellten es auf eine tierische Art und Weise. 
Snorri merkte, wie sich bei diesem Anblick eine Gänsehaut auf seinem Nacken formte, die langsam in Richtung seines Rückens kroch. 
Dieser Mann ist ein Monster. Ich sollte mich hüten, ihm in die Quere zu kommen. 
»Hinein!« 
Die Schar stürmte an Magnars Seite in das Innere des Klosters. 
Snorri folgte ihnen dichtauf. 
Die hohen Decken und kunstvollen Verzierungen des Gebäudes ließen ihn den Atem anhalten. Wer immer hier lebte, er musste reich sein. Prunkvolle Säulen griffen nach dem Himmel und bunte Fenster aus Mosaik ließen ein spielerisches Licht durch die Hallen glitzern. 
Doch dann begannen die ersten Schreie das Kloster mit ihrem Klagelied zu erfüllen, das anschwoll zu einem Chor der Agonie. 
Die Männer fielen über die wehrlosen Mönche her und veranstalteten ein Massaker unter ihnen. Jene, die nicht zu fliehen vermochten, wurden zusammengetrieben und erschlagen. Ihr Blut färbte den Boden rot.
Snorris Ansturm endete so jäh wie er begonnen hatte. Er blickte in furchterfüllte Gesichter unterschiedlichen Alters, voller Verzweiflung und Todesangst. Manche schienen zu beten, andere winselten, andere wiederum wirkten wie in Stein gemeißelt. Ungefähr die Hälfte der Mönche lag regungslos auf dem Boden, ihre Kutten in ein nasses rot gefärbt. Leblose Augen starrten den jungen Nordmann klagend an.
»Was machen wir mit dem hier?«, der fettleibige Ustenströmer, der sich vor ein paar Tagen mit Snorri eingelassen hatte, zerrte eifrig einen weiteren Mann an den Haaren herbei. »Hat sich in einem Schrank versteckt. Soll ich ihm die Zähne aus dem Maul prügeln und ihn daran ersticken lassen? Oder soll er seine Zunge fressen?«, er zückte quiekend vor Begeisterung ein Messer, während er sprach. 
Snorri wandte sich ab. Das wollte er nicht mit ansehen. Seine Kampfeslust gefror wie eine Pfütze, die vom ersten Hauch des Winters geküsst wurde.
Die gurgelnden Schreie, die im Anschluss durch die Halle hallten, waren das schlimmste, was er je gehört hatte. Sie brannten sich wie ein glühendes Eisen durch seinen Kopf und schienen nicht enden zu wollen. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kehrte eine bedächtige Ruhe im Kloster ein. 
Angeekelt drehte Snorri sich um. 
Von dem Gesicht des Mannes war kaum etwas an der richtigen Stelle geblieben. 
Er merkte, wie sein Magen zu rebellieren drohte. Die Worte Islavs, das Kloster auf weitere Schätze zu untersuchen und die restlichen Mönche auf die Schiffe zu treiben, bekam er nur am Rande mit. 
Dann merkte er plötzlich, wie jemand an ihn herantrat. 
»Nicht gerade angenehm, hm?« Knutson spuckte aus. »Brutale Bastarde, allesamt. Wir kamen um zu plündern, nicht um zu morden. Einige scheinen das vergessen zu haben. Tu gut daran, etwas nach Hause mitzubringen. Das ehrt deine Taten und du kannst es womöglich gebrauchen. Lass das hier nicht umsonst gewesen sein. Und …«, er schien kurz zu grübeln, dann lächelte er, »ich werde keinem von deinem Gesichtsausdruck erzählen, versprochen.« Er wandte sich ab.
Snorri schluckte, dann klopfte er Knutson noch einmal auf die Schulter. »Ich danke dir«, presste er leise hervor.
Der alte Nord nickte ihm kurz zu, dann verschwand er durch eine Tür, die in den Keller zu führen schien. 
Snorri fasste sich ein Herz und tat es ihm gleich. 

Er eilte durch einen schmalen Gang, der sich einmal durch das gesamte Kloster winden musste, so lang war er, vorbei an Türen und einer Treppe. Der junge Nordmann beschloss ihr zu folgen und erreichte einen weiteren Korridor, der mit seltsamen Gemälden versehen war. Wieder und wieder erschien darauf ein Mann, der zu Tode geschunden wurde. Zunächst trug er ein Kreuz auf dem Rücken und wurde durch die Stadt gejagt. Später nagelte man ihn an ebendieses Kreuz und ließ ihn qualvoll verenden. Als er zu Grabe getragen wurde, trauerten die seinen um ihn. Doch besonders das letzte Gemälde zog Snorri in seinen Bann. Der Mann musste sein Grab verlassen haben, obwohl ihn der Tod bereits ereilt hatte. 
Sein Gott hat ihn zu sich gerufen. Obwohl er so jämmerlich starb. 
Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, riss ihn ein Winseln, unweit von seiner Position entfernt, zurück in die Gegenwart. 
Das kommt aus einer der Kammern.
Snorri griff nach seinem Schwert und pirschte sich an die Tür heran. Zögerlich öffnete er sie. 
Dahinter befand sich ein karger Raum, kaum mehr als eine Zelle, mit einem winzigen Fenster und einer Matratze aus Stroh, unter der sich ein Mönch verbarg, die Hände zum Gebet gefaltet, während er wieder und wieder dieselben Worte winselte. 
Ein kurzer Blick sagte Snorri, dass es hier nichts zu holen gab. 
Auf einmal ertönten Schritte auf der Treppe. »Vorwärts, Hunde!« Snorri erkannte die Stimme sofort. Die gehörte seinem neuen besten Freund, dem fettleibigen Ustenströmer. Er blickte in die Augen des Mönches, das flehende Flackern von Lebensfreude lag darin. 
Dann bogen die Männer um die Ecke.
Snorri ließ schnaubend die Tür ins Schloss fallen. »Hier oben haben die Mistkerle an Prunk gespart. Die Bilder könnten etwas wert sein, aber in ihren Zellen findet ihr höchstens einen Verrichtungseimer voller Scheiße!«, zeterte er wüst und hoffte die Männer würden ihm nicht ansehen, dass er log. 
»Viel mehr hast du auch nicht verdient, du Zwerg«, höhnte der Dicke und kam dabei gefährlich nahe an ihn heran. 
Doch zu Snorris Erleichterung beließ er es bei dem gehässigen Kommentar und sah davon ab, sich selbst zu überzeugen. 
»Die Gemälde gehören jetzt Magnar. Irgendwelche Einwände?«, kläffte er stattdessen.
Snorri verneinte.
»Braves Hündchen. Vielleicht findest du ja doch einen Platz an unserer Seite.« Die Ustenströmer lachten kurz, dann verschwanden sie so schnell wie sie aufgetaucht waren. 
Erst in diesem Moment merkte der junge Nordmann, dass er die Luft angehalten hatte. Gierig saugte er sie ein. Sein Blick steuerte ein letztes Mal zu der Tür, hinter der sich der Mönch verbarg. Über ihr war ein goldenes Kreuz angebracht worden. Und da überkam ihn schlagartig die Gewissheit, dass es sich hierbei nur um ein Zeichen handeln konnte. 
Du bist wie sie. Du hast deine eigenen Worte verraten. 
»Verdammt sollst du sein, Bruderherz«, grummelte er, während er danach griff. Das Kreuz lag schwer in seiner Hand, es musste also etwas von Wert sein. Heimlich ließ Snorri es in seine Tasche gleiten. Kopfschüttelnd machte er sich daran, wieder zu den anderen zu stoßen. 

Die Männer drängten gerade die verbliebenen Mönche aus dem Kloster, ihre Arme in Ketten gelegt, ihre Mienen versteinert und blutverschmiert. 
Knutson gesellte sich zu ihm, er trug einen Sack über der Schulter und grinste verschmitzt. »Ein Altar«, er nickte in Richtung des Sackes, »im Keller. Gab ordentlich was zu holen. Und bei dir?«
Snorri griff in die Tasche, dort wo das Kreuz lag. »Auch ich habe etwas gefunden«, murmelte er gedankenversunken. 
Verdammt, Aegir, warum nur vermochte ich nicht die Wahrheit zu sehen?
Zu seinem Glück beharrte Knutson nicht weiter auf einer Antwort, wofür er eine gewisse Dankbarkeit verspürte. 
Als sie die Schiffe erreichten, konnte Snorri nicht anders als sich instinktiv nach seinem Bruder umzusehen. Sie mussten reden.
Als hätte er ihn gehört, eilte der Riese auch schon auf ihn zu. 
»Wir müssen reden!«, Aegir zog Snorri hinter einen Baum. 
»Du hast Recht, Bruder, ich … ich …«, plötzlich fielen Snorri keine Worte mehr ein, um zu erklären, was ihm passiert war.
»Keine Zeit. Wir stecken tief in der Scheiße«, erklärte Aegir mit sorgenschwerem Gesicht. Er sah sich nervös um.
Islav kam auf sie zugesteuert. »Aegir! In meine Kajüte! Sofort!«, blaffte er harsch. 
»Was meinst du?«, flüsterte Snorri aufgeregt.
»Hüte dich vor den Ustenströmern, und sag es auch den anderen. Sie werden uns hintergehen, wenn die Zeit gekommen ist. Wir müssen uns vorbereiten. Ich werde versuchen Islav zu überzeugen.« Mit diesen gezischten Worten wandte er sich ab und ließ seinen kleinen Bruder allein.
Snorri schluckte. Ein bitteres Gefühl, schwer von Vorahnung, machte sich auf seiner Zunge breit und hinterließ einen faden Geschmack. 
Als er zu den Schiffen zurückkehrte, empfing ihn Gejohle.
Einige der Ustenströmer hatten sich einen Mönch geschnappt und tauchten ihn wieder und wieder unter Wasser, bis er wie ein Wilder zappelte. Lautstark wurden Wetten abgeschlossen und die ersten erbeuteten Münzen wechselten bereits ihren Besitzer. 
Irgendwann regte er sich nicht mehr. Murrend wandten sich die Männer von ihm ab. 
Snorri spürte einen maßlosen Ekel in sich aufkeimen. Er würde Knutson und den anderen berichten, was Aegir ihm erzählt hatte. Und da wurde ihm bewusst, dass die Schlacht, für die er eigentlich vorhergesehen war, gerade erst begonnen hatte.

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