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Der Traum vom Drachen

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von Pia G.

„Ich hatte einen ganz fantastischen Traum letzte Nacht“, posaunt Herr Deuter in die allmorgendliche Stille am Frühstückstisch hinein. Er runzelt daraufhin kurz die Stirn, scheint zu überlegen, wie genau der Traum wohl war und bemerkt nicht, wie Frau Deuter, die ihm gegenüber sitzt, die missbilligenden Augen verdreht. Zum Glück hat er die Vorhänge an der Fensterfront nicht wieder aufgezogen; zum Glück für ihn. Er nimmt einfach keine Rücksicht auf sie, und deswegen hat er es auch mal verdient, ihre Launen auszubaden.. Sie säbelt weiter gewalt- und schweigsam an ihrem Brötchen herum, das sie trocken mit fettarmem Käse belegen wird; ihre Freude darüber hält sich in Grenzen. Genauso wenig wie über Gespräche am Morgen vor ihrem dritten Kaffee – ihre Gedanken springen sofort weiter. Ohne Sahne und ohne Zucker; keine überflüssigen Kalorien. Sie musste sich erst an den beerig-bitteren Geschmack gewöhnen, aber jetzt kann sie ihn trinken, ohne mit der Wimper zu zucken. Kalorien sparen, das macht auf eine gewisse Art und Weise sogar Spaß, denkt sie und lächelt ein grimmiges Lächeln, das sich schon in ihr von fülligen Hängebacken dominiertes Gesicht eingegraben scheint. Nur auf das Kohlessen mit ihren alten Freundinnen im Restaurant, da freut sie sich drauf; da wird sie nicht drauf verzichten. Besonders nicht auf die Pinkel und den Kassler. Ihr läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.

„Ich saß auf einem Pferd und ritt durch eine tiefe Schucht. Ich glaube, ich hatte eine Rüstung an, hielt ein Schwert in der Hand und trug einen Schild auf dem Rücken. Auf einmal sah ich dann etwas aus dem Himmel auf mich zustürzen“, unterbricht ihr Mann ihren Gedankengang mit einem Redeschwall. Finster starrt sie wieder ihren Gatten an, all ihre nicht gerade wohlwollende Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet und knurrt, als er eine Kunstpause einlegt: „Kann man denn nicht einmal seinen Morgenkaffee in Ruhe trinken?“

Herr Deuter scheint davon nicht sehr beeindruckt und schaut sie leicht verärgert an.

Das kennt sie ja gar nicht von ihm. Sonst zieht er sofort den Schildkötenhals ein, wenn sie ihn so anpflaumt.

Also setzt sie noch einen drauf: „Ich hatte auch einen Traum, aber muss ich das gleich erzählen? Nein! Schließlich ist ein Traum nichts weiter als zusammengewürfelter Humbug, den man gleich getrost wieder vergessen sollte.“

Kurz muss sie an den Traum denken, den sie tatsächlich hatte.

Ihr waren Schuppen gewachsen, ein langer Hals und … ja, ledrige Flügel. In ihrem langen Rachen hatte es dauernd gekratzt. Auf einmal hatte sie den Drang verspürt, sich zu bewegen, was sie aus ihrem wahren Leben nie kennengelernt hatte. Also war sie aus der dunklen Höhle gekrochen, in der sie sich wohlfühlte und hatte sich, schließlich im grellen Sonnenlicht, von dem Bergvorsprung abgestoßen, aus einem Instinkt heraus … und sie war durch die Lüfte geglitten … was für ein Gefühl. Irgendwann kurz danach hatte ihr Magen geknurrt und sie hatte den weit entfernten Boden nach etwas abgesucht, das sie jagen und verspeisen konnte. Es dauerte nicht lange, und da blendete sie etwas, was sie sehr wütend machte. Also schoss sie, ohne groß zu überlegen, dem Boden entgegen.

„Ich hob mein Schwert“, hört Frau Deuter wie aus weiter Ferne.

„Und wollte das Vieh abwehren, doch es krachte in mich hinein und ich fiel vom Pferd, flog einige Meter weit, landete aber weich in irgendwelchen Ranken. Ich schaltete schnell und schnitt ein paar der Ranken ab, denn natürlich hatte ich schon gemerkt, was für ein Monster mir da gegenüberstand.“

Sie hatte sich schließlich auf dieses blitzende, blendende Etwas gestürzt, es jedoch nicht mit dem Maul zu fassen gekriegt. Sie war auf die Erde gestürzt und hatte sich ein paar Mal überschlagen. Sie schoss öfter etwas übers Ziel hinaus, fiel ihr ein.

Als sie das Ding wieder im Visier hatte, schnellte sie wieder mit vor und wollte es verschlingen, doch irgendwie war es ihm gelungen, etwas um ihre Schnauze zu schlingen.

Er hielt sich und dieses Etwas an ihr fest, und egal, wie doll sie mit dem Kopf herumwirbelte, er ließ sich nicht abschütteln. Aus tiefster Wut auf dieses Wesen heraus versuchte sie, ihre Nummer abzuziehen, die nur sie und ihre Brüder und Schwestern abziehen konnten. Sie ließ das Kratzen in ihrem Hals anschwellen, es hinaufwandern, bis zu ihrem Maulraum und – nichts passierte. Das Feuer, das dieses Ding rösten sollte, kam bloß als Rauchwölkchen aus ihren Nüstern heraus.

Sie war völlig eingeschränkt in ihren Fähigkeiten, dieses Wesen zu töten. Es befestigte nun auch noch diese Pflanzen an ihrem Maul und brachte einige Entfernung zwischen sich und sie. Sie kochte vor Wut, konnte aber nichts machen.

„Ich habe tatsächlich einen Drachen besiegt, glaubst du das, Gerlinde?“

Gerlinde will gerade sagen, dass er KEINEN Drachen besiegt hat, weil es ein verdammter Traum war, aber sie bringt keinen einzigen Laut über die Lippen. Ihr Mund klappt auf und zu, doch ihre Stimme gehorcht nicht mehr. Sie versucht, sich an die Kehle zu fassen, doch auch ihr Arm bewegt sich nicht. Der Kaffee läuft ihr das Kinn hinunter und schließlich und endlich endet das Trauerspiel, als sie vom Stuhl kippt.

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