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Jeschua

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Dies ist noch eine Geschichte, die sich mit der Frage beschäftigt, wie das Weihnachtsfest im jahr 3000 aussehen könnte.

Geschrieben wurde sie von falky67.

Kevin stand am Bullauge seiner Behausung und schaute hinaus. Draußen tobte der rote Sturm, der immer zu dieser Jahreszeit Babakin überrollte. Dann waren sie mehrere Tage gezwungen, in ihren Wohnunterkünften zu bleiben. Die Mine blieb geschlossen, denn selbst mit den Marsmobilen war kaum ein Durchkommen mehr.

Er schaute auf die zerklüftete Landschaft des Kraters, in dem die Minenstadt Babakin gebaut war. An den Rändern erhoben sich die Felsformationen, in die die Stollen getrieben wurden. Die notwendigen Gerüste krochen wie ein Skelett an den Wänden hinauf. Doch wurden sie jetzt von rotem Staub bedeckt, der sich über den Rand ergoss, als wollte er die Stadt begraben. Manchmal stellte sich Kevin vor, auf der Erde zu leben, wo es solche Stürme sicher nicht gab. Jedenfalls glaubte er das. Er hatte die Erde noch nie gesehen. Seine Eltern und auch seine Großeltern waren auf dem Mars geboren, genauso wie er. Und alle waren irgendwie Minenarbeiter, denn um Arzt, Lehrer, Biologe zu werden oder eine andere interessante Tätigkeit ergreifen zu können, hätte man eine Bildungseinrichtung der Erde besuchen müssen. Der Verdienst reichte, um zu leben, zu überleben. Mehr aber auch nicht. Eine Reise zur Erde, die war ganz bestimmt nicht drin. Wer viel Glück hatte, ergatterte einen der begehrten Plätze für eine Mechanikerausbildung.

Kevin sah sich in seiner Wohneinheit um. Sie war spärlich eingerichtet, denn man musste alles irgendwie von der Erde heranschaffen. Die Standardausrüstung, die die Shenhua Energy Kooperation bereitstellte, bestand aus einem Metallbett, einem Klapptisch, einem Schrank und zwei Stühlen. Seine Eltern hatten ihm einen Vorhang genäht, der die Schlafstatt vom Rest abtrennte. Gemütlich wurde die Wohneinheit dadurch nicht. Aber er hielt sich ja auch kaum darin auf. In letzter Zeit verbrachte er seine Freizeit lieber draußen im Observatorium. Cho Ling hatte ihm die Sterne erklärt und einmal konnte er sogar einen Blick auf die Erde werfen. Sie sah atemberaubend aus. Man konnte wirklich blau erkennen. Ein blauer Planet, Kevin kannte nur Rot. Cho Ling meinte allerdings, dass die Erde nur noch vom Weltall so blau wirkte. Die Megacitys waren grau und schmutzig. Erst ab dem 150sten Stockwerk sah man die Sonne. Alles darunter benötigte künstliches Licht, das meist vom Smog geschluckt wurde. Wobei Kevin sich noch nicht einmal vorstellen konnte, wie ein Haus mit über 150 Stockwerken aussehen würde. Hier war das Observatorium das höchste Gebäude.

Der Mars besaß seit dem 25. Jahrhundert eine verbesserte Atmosphäre. Man begann damals, ein künstliches Magnetfeld zu erzeugen, dass das Abtragen der Atmosphäre verhindern sollte. Jedoch war es bis heute nicht gelungen, dieses stabil und stark genug zu halten. Aus diesem Grund wurden die Bergbaustädte alle in Kratern erbaut. Kleinere Krater wurden komplett mit einer künstlichen Abdeckung überzogen, sodass darunter eine atembare Luft erzeugt werden konnte. Hier wurden vorrangig Versuche zur Züchtung von marsfähigen Pflanzen durchgeführt. Leider war der Erfolg auch nach Jahrzehnten nur bescheiden. Es gab bis jetzt nur einige Moose und Wüstenpflanzen, die auch im Marsboden wuchsen. In den größeren, dem Bergbau dienenden Kratern waren nur die Behausungen mit einer Sicherheitskuppel überspannt, damit man notfalls die Gebäude auch ohne Schutzanzug erreichen konnte. Trotzdem gab es an jedem Ausgang Sicherheitsanzüge und Luftschleusen.

Cho Ling war noch nicht lange auf dem Mars, sie kam vor knapp neun Monaten mit dem letzten Fährschiff. Kevin hatte sich damals gefragt, wer von der Erde so verrückt war, freiwillig auf dem Mars Dienst zu tun. Mittlerweile kannte er Cho Lings Gründe. Es gab strenge Regeln auf der Erde und durch ihren freiwilligen Einsatz konnte sie ihren Zustand vor den Behörden verbergen. Vielleicht blieb sie ja auch auf dem Mars, wer wusste das schon? Kevin war sich sicher, dass er nichts dagegen hätte, wenn Cho Ling hierbleiben würde.

Das Observatorium war nicht im Krater, sondern auf der Marsoberfläche erbaut. Um es leichter zu erreichen, hatte man von Babakin aus einen Stollen in den Berg getrieben. An klaren Tagen konnte Kevin es von seinem Fenster aus sehen. Heute jedoch nicht, heute sah man nur roten Staub.

Doch was war das? Bewegte sich da nicht etwas? Halluzinierte er, oder tanzte da tatsächlich etwas mit dem Sturm? Es schien, als wenn sich die roten Staubpartikel an dieser Stelle zu einem Umriss zusammenfügten, sich verdichteten, um im nächsten Moment wieder auseinandergerissen zu werden, nur, um es erneut zu versuchen. Fast sah es menschlich aus. Aber Kevin wusste, dass so einen Sturm kein Mensch aushalten konnte, wenn er ohne Schutzanzug da draußen war. Was also war das? Langsam entfernte es sich aus Kevins Blickwinkel, um dann wieder aufzutauchen. Nun von einem inneren Leuchten begleitet. Und es bewegte sich eindeutig Richtung Observatorium. Konnte Cho Ling noch dort sein? Das musste er in Erfahrung bringen. Kevin verließ sein Quartier und rannte Richtung Gemeinschaftsraum. An den Tagen des roten Sturmes trafen sie sich alle dort und feierten gemeinsam. Wenn Cho Ling in der Stadt war, dann fand er sie am ehesten da. Außer Atem erreichte er den Raum, der in der Mitte der Stadt lag. Er war rund und in der Mitte war die Kuppel durchsichtig, sodass man die Sterne sehen konnte. Das Phänomen konnte er von hier aus allerdings nicht mehr erkennen. Doch irgendwie hatte er das Gefühl, es hinge mit Cho Ling zusammen. Panisch durchstreifte er den dicht gefüllten Raum. Viele standen beisammen, tranken Oirel, ein auf dem Mars hergestelltes alkoholisches Getränk. Dazu wurden mitgebrachte Speisen gereicht und es wurde gesungen. Manche tanzten auch. Es war also für Kevin nicht leicht, Cho Ling hier zu entdecken. Doch dann sah er Mohadin. Er war Cho Lings Vorgesetzter und wusste sicher, wo sie sich befand.

»Mohadin«, rief Kevin schon von Weitem. »Mohadin. Weißt du, wo Cho Ling ist?«

»Ah, Kevin, setz dich zu uns, wir spielen gerade Quirl und könnten noch einen guten Spieler gebrauchen.« Mohadin legte seine Konsole beiseite. Er hatte eindeutig schon mehr als ein paar Oirel zu sich genommen. Das sah man an dem verschwommenen Blick.

»Ein anderes Mal, Mohadin. Sag, hast du Cho Ling gesehen?« Kevin musste sich zwingen, ruhig zu atmen.

»Sie war vor dem Sturm noch im Observatorium. Ich glaube, sie wollte da bleiben.«

Kevin meinte, sich verhört zu haben. Er packte Mohadin am Kragen und zerrte ihn von seinem Stuhl.

»Da bleiben, bei dem Sturm? Und das in ihrem Zustand? Das kann doch nicht dein Ernst sein!« Er stieß ihn zurück und stürmte aus dem Gemeinschaftsraum. Was, wenn Cho Ling wirklich noch dort war? Er musste sich Gewissheit verschaffen. Er schlug den Weg zum Fahrzeugpark ein. Vorher musste er sich noch die Ausrüstung besorgen. Es war normalerweise nicht erlaubt, außerhalb der Arbeitszeit Schutzanzüge zu benutzen. Dafür waren die Materialien viel zu wertvoll, denn sie konnten nicht auf dem Mars hergestellt werden. Die Flotte an Fährschiffen von der Erde kam nur aller 2 Jahre, wenn Mars und Erde die geringste Entfernung voneinander hatten. Man hatte dann knapp ein Jahr Zeit, um die Schiffe zu beladen, ehe sie wieder in Richtung Erde verschwanden. Die Berechnungen mussten sehr korrekt sein und die Abflugzeiten eingehalten werden, sonst würde die Erde beim Eintreffen der Fährschiffe auf einem anderen Punkt ihrer Umlaufbahn sein und die Schiffe würden nicht auf dem blauen Planeten landen können. Deswegen konnte man sich keine Materialverluste erlauben, die Neubeschaffung dauerte einfach zu lang.

Kevin spielte die Feier im Gemeinderaum in die Hände, somit war der Geräteraum nicht besetzt. Es kam ja auch niemand auf die Idee, dass bei einem Dezembersturm jemand freiwillig die Stadt verließ. Er schnappte sich ein Notfallset sowie einen Anzug für sich mit Atemmaske. Einer Eingebung folgend, nahm er auch noch ein Mediset mit. So ausgestattet, begab er sich zu den Marsmobilen. Hier hatte er es nun doch nicht so leicht. Es gab einige Mechaniker, die noch ihrer Arbeit nachgingen, und die äußere Schleuse galt es irgendwie zu öffnen. Ziemlich am Ausgang stand ein Mobil etwas abseits und bot ihm die Gelegenheit, sich unauffällig Zugang zu verschaffen. Er steuerte darauf zu und konnte gerade noch rechtzeitig hinter einem Stapel Kisten in Deckung gehen, als ein paar Mechaniker scheinbar Feierabend machten und ihm entgegenkamen. Als sie endlich vorbei waren, schlich er den Rest des Weges zum Fahrzeug. Zum Glück war es nicht verschlossen, das Aufbrechen der Tür hätte sein Vorhaben doch noch vereiteln können. Nun musste er nur noch aus der Anlage kommen. Wie sollte er das bewerkstelligen? Da bemerkte er einen Müllroboter, der sich der Schleuse näherte. Er zog den Anzug an und als sich die Schleuse öffnete, startete er das Mobil und setzte es in Bewegung. Das Starten des Motors machte nun doch einen Lärm, der nicht unbemerkt bleiben konnte. Die Mechaniker, die aufmerksam wurden, schafften es nicht rechtzeitig, ihn aufzuhalten. Er beschleunigte so rasch es ging, musste er doch direkt hinter dem Roboter das Tor passieren, sonst war der Durchgang wieder gesperrt.

Zum Glück lief alles gut ab und als er draußen war, suchte er sich einen Weg Richtung Observatorium. Der Sturm war mittlerweile so stark, dass er kaum das Fahrzeug auf Spur halten konnte. Auch verlor er nach einigen Metern fast die Orientierung, weil man die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Er hatte sich gerade ein paar Kilometer vom Fahrzeugpark entfernt, schon konnte er diesen nicht mehr erkennen. Die Scheibenwischer waren im Dauereinsatz, um den sich ablagernden roten Staub aus seinem Sichtfeld zu beseitigen. Plötzlich sah er das Phänomen wieder vor sich. Es schien ihn zu locken, kam auf ihn zu, entfernte sich wieder. Der rote Staub sah aus wie ein Mensch. Er leuchtete dazu hell von innen, die Ränder allerdings zerfielen und bauten sich neu auf. Die ganze Erscheinung war in ständiger Bewegung und er folgte ihr, ohne zu wissen, warum. Irgendwann erreichte er den Eingang zum unterirdischen Stollen. Das Wesen, oder was immer es war, löste sich auf. Kevin nahm Notfall- und Mediset, verließ das Fahrzeug und machte sich auf den Weg.

Endlich erreichte er das Observatorium, in dem es unheimlich still war. Nur der Wind heulte, als wäre er in den Räumen selbst.

»Cho Ling. Cho Ling, bist du da? Antworte bitte.« Doch es blieb still. Vielleicht war sie ja doch nicht mehr hier? Als er an der Ausgangsschleuse vorbei kam, konnte er einen Blick auf die Marsoberfläche erhaschen. Hier tobte der Sturm noch intensiver. In der Ferne sah er riesige Staubtrichter, die der Sturm nach oben in die Atmosphäre schleuderte. Dann erreichte er endlich die Kuppel und entdeckte Cho Ling. Sie lag verkrümmt am Boden, atmete schwer.

»Cho Ling, alles wird gut, ich bin da.«

Als er näher kam, sah er, dass sie in einer Pfütze lag. War sie etwa darauf ausgerutscht? Woher kam die Flüssigkeit?

»Cho Ling, alles okay? Kannst du aufstehen?«

»Es beginnt«, presste sie durch die zusammengebissenen Zähne, »du musst mir helfen. Jetzt!« Dabei krallte sie sich an seinem Arm fest und schrie auf.

Plötzlich wurde ihm klar, was hier vor sich ging. Er hatte noch nie eine Geburt gesehen. Eigentlich wusste er nicht, was er tun sollte. Und doch breitete er das Mediset aus und reichte ihr die Sauerstoffmaske. Er war plötzlich ganz ruhig. Cho Ling brauchte ihn.

»Atmen. Ein und aus. Ein und aus.« Als die nächste Wehe kam, begann Cho Ling zu pressen. Scheinbar wusste sie besser als Kevin, was zu tun war. Er konnte nur unterstützen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, während sie zwischen Pressen und Atmen ein neues Leben auf diese Welt brachte. Mit einem letzten Stöhnen von ihr und einem kräftigen Schrei des neuen Marsianers war es vollbracht. Kevin bettete einen Knaben in die sterilen Tücher aus dem Mediset. Erschöpft, aber glücklich nahm Cho Ling ihren Sohn in die Arme.

Es war still geworden. Eigenartigerweise hatte sich der Sturm im Augenblick der Geburt gelegt.

»Hast du schon einen Namen?«, flüsterte Kevin.

»Ja«, lächelte sie. »Jeschua.«

Langsam stand er auf und begab sich zu der erhöhten Aussichtsplattform, von der man nicht nur die Sterne beobachten, sondern auch durch eine Glasscheibe einen großen Teil der Marsoberfläche sehen konnte.

»Oh, mein Gott. Das ist wunderschön«, stieß er aus, als er hinausschaute. In der von rotem Staub geschwängerten Luft stiegen tausende kleine Lichter vom Boden in den Himmel hinauf. Es sah aus, als würden lauter Sterne nach oben steigen.

Kevin lächelte Cho Ling an, die ihren Sohn fest in den Armen hielt. Er ging zurück, half ihr aufzustehen und führte sie zu der Glasscheibe. Er zeigte ihr diese Lichter, die rund um das Observatorium aufstiegen, als hätten sie nur auf diesen Moment gewartet. Es war wie ein Wunder.

»Hallo Jeschua, geboren am 24. Dezember des Jahres 3000. Sei willkommen auf meiner Heimat, dem Mars. Ich glaube, du wirst etwas ganz Besonderes.« Kevin küsste den Kleinen auf die Stirn, dann wandte er sich an Cho Ling. »Sag, wenn du bereit bist. Dann gehen wir in die Stadt, deinen Sohn vorstellen. Ich werd an deiner Seite bleiben.«

Und so weit er blicken konnte, stiegen Lichter in den Marshimmel, als wenn sie den neuen Marsianer begrüßen wollten.

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