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Das Paradies (3/4)

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Posted By MoriaZwo

Das Paradies – Teil 3

»Wer sind Sie?«, fragte eine zaghafte Stimme von der Sitzgruppe her. Sebastian hatte überhaupt noch nicht bemerkt, dass dort jemand saß.
»Äh, ich … also … ich bin ein Gewinner der Lotterie«, sagte er und ging langsam auf den Sessel zu, von dem die Stimme gekommen war. »Man hat mir diese Suite zugewiesen. Mein Name ist Sebastian. Sebastian Passlicki.«
Er konnte jetzt sehen, dass in dem Sessel – zusammengekauert – eine Frau saß. Sie hatte die Arme um ihre Knie geschlungen und machte einen verstörten Eindruck.
»Sind Sie der andere Gewinner, den man mir angekündigt hat?«
Sie nickte.
»Ja, ich bin auch Gewinnerin. Ich heiße Nina Mommsen.« Sie schluchzte leise.
»Was ist denn los?«, fragte Sebastian besorgt. »Sollten Sie nicht eher glücklich sein? Wir werden morgen ins Paradies reisen.«
»Und wenn ich gar nicht nach Park möchte?«
»Sie wollen nicht weg von diesem Planeten?« Er breitete in einer ausholenden Geste seine Arme aus.
»Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich will und was nicht!«
Sebastian setzte sich ihr gegenüber in einen freien Sessel und betrachtete sie. Sie machte einen recht netten Eindruck und wirkte auch äußerst sympathisch auf ihn, wie sie da mit ihrem mittellangen Rock saß und ihre nackten Beine mit ihren Armen umfasste. Ihr Haar war blond und gepflegt, was entweder bedeutete, dass sie von der Oberfläche stammte oder dass sie über eine Menge Geld verfügte. Er schätzte sie auf höchstens Mitte dreißig. Eigentlich war Sebastian gar nicht mehr so ärgerlich, nicht allein in dieser Suite zu sein.
»Möchten Sie darüber reden?«, fragte er vorsichtig.
»Ich kenne Sie doch gar nicht.«
»Manchmal ist ja gerade das das Richtige«, meinte Sebastian. »Ich kann es eventuell unvoreingenommen anhören.«
»Möglicherweise haben Sie ja recht«, sagte Nina mit verweinter Stimme. »Ich habe einen Freund … nein, ich müsste sagen ich hatte einen Freund. Wir wollten versuchen, gemeinsam eine Teilzeitzelle zu mieten, um sie rund um die Uhr für uns allein zu haben. Leider reichte das Geld nie dazu. Also spielten wir in der Lotterie. Eigentlich versuchte er es damit, aber in der letzten Woche kam ihm etwas dazwischen und er bat mich, ein Los zu kaufen. Nun, wie Sie es sich denken werden, gewann dieses Los.«
»Und nun haben Sie das Problem, dass Sie ihn nicht mitnehmen können?«
»Das ist es doch überhaupt nicht!«, rief sie heftig aus. »Ich wollte nie reisen. Ich wollte mit ihm zusammen sein. Aber er regte sich so sehr darüber auf und warf mir vor, ihn zu übervorteilen. Hätte er das Los gekauft, würde es auf seinen Namen lauten und er könnte die Erde verlassen. Er hätte tatsächlich keine Hemmungen gehabt, ohne mich nach Park zu reisen, verstehen Sie? Wir haben uns entsetzlich gestritten und zuletzt hat er mich sogar geschlagen. Ich habe dann im letzten Moment das Los gegriffen und bin weggerannt. Ich höre immer noch seine Stimme, wie sie hinter mir her schreit, dass er mich umbringen würde, wenn er mich findet.«
Sebastian wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte Nina und die Tränen rannen ihr über die Wangen. »Ich bin losgelaufen und floh vor dem Mann, den ich geliebt habe, nach Park. Ich weiß doch nicht, was ich dort soll. Sagen Sie es mir: Was soll ich tun?«
Sebastian erhob sich, quetschte sich neben die Frau in den breiten Sessel und nahm sie tröstend in den Arm. »Erst einmal sollten Sie sich beruhigen. Wie es scheint, haben Sie in einen Mann geliebt, den Sie überhaupt nicht gekannt haben. Wenn er Sie ohne Zögern zurückgelassen hätte, hat er es nicht verdient, dass Sie wegen ihm weinen. Sie sollten viel mehr Wut auf ihn haben – eine sehr gerechte Wut.«
Der Körper in Sebastians Armen wurde allmählich ruhiger.
»Haben Sie denn – abgesehen von diesem Mann – noch etwas, dass Sie hier nicht zurücklassen können? Wenn nicht, dann sollten Sie einfach ins kalte Wasser springen. Was hätten Sie zu verlieren? Eine Teilzeitzelle in den Sub-Ebenen oder einen verdammten Job, der Ihnen stinkt? Oder haben Sie etwa hier oben gewohnt, an der Oberfläche?«
Sie schüttelte ihren Kopf, ohne sich aus seinen Armen zu lösen. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ihre Haare – sie machen einen gepflegten Eindruck, wie ich ihn selten bei Frauen der unteren Etagen erlebt habe.«
Ihr Mund verzog sich zögernd zu einem verhaltenen Lächeln. »Ach das. Ich hasse es einfach, wenn meine Haare ungepflegt und verfilzt sind. Ich habe viel zu viel ausgegeben, um sie in Ordnung zu halten. Verrückt, nicht wahr?«
»Eigentlich nicht.« Sebastian schüttelte den Kopf. »Wo haben Sie denn gewohnt?«
»Sub-Ebene 27 und ich habe in den Algenfarmen gearbeitet. Alle paar Monate wurde ich krank wegen der Sporen von den Dingern. Ich reagiere allergisch darauf.«
»Sehen Sie? Und das müssen Sie nicht mehr machen. Ab morgen gibt es nur noch saubere Luft, Sonne, Strand, Erholung – eine Atmosphäre zum Glücklichsein. Haben Sie schon etwas gegessen? Ich könnte nämlich ein halbes Schwein vertilgen und man hat mir in der Kommandantur gesagt, wir wären berechtigt, uns zu bestellen, was immer wir wollen.«
Allmählich lösten sie sich voneinander und zum ersten Mal sah Sebastian Nina lächeln. Es war ein warmes, nettes Lächeln.
»Danke«, sagte sie und wischte sich die restlichen Tränen aus den Augenwinkeln. »Ich bin dumm, nicht wahr?«
»Wie kommen Sie darauf? Ich sehe eine unglückliche Frau und keine dumme – dafür allerdings eine sehr attraktive, wenn Sie so lächeln, wie eben.«
Ihr Lächeln wurde noch etwas breiter. »Lügen ist keine Ihrer Stärken, was? Ich muss doch furchtbar aussehen, so verweint.«
»Daran kann man ja etwas ändern«, schlug Sebastian vor. »Ich denke, Sie gehen jetzt ins Bad, machen sich frisch und ich kümmere mich darum, dass wir hier auf der Erde einmal so richtig schlemmen können.«
Als Nina aus dem Bad zurückkam, musste er feststellen, dass sie nicht nur hübsch war, sondern eine regelrechte Schönheit. Unwillkürlich betrachtete er seinen eigenen Körper kritischer und nahm sich spontan vor, auf Park dafür zu sorgen, dass er besser in Form kam.
Der Abend entwickelte sich dann noch sehr harmonisch und sie lachten viel. Ein Problem stellte das Schlafzimmer dar, welches nur ein Doppelbett enthielt. Nachdem sie beide etwas befangen davor gestanden hatten, zog sich Sebastian auf die bequeme Couch zurück, wofür er von Nina ein dankbares Lächeln erntete.
Obwohl er nicht damit gerechnet hatte, schlief er bald ein und träumte von seiner Reise nach Park und davon, wie er mit Nina über einen schneeweißen Strand schlenderte, während die Sonne aus einem tiefblauen Himmel schien. Viel zu schnell wurde es Morgen und ein Signal weckte sie beide. Auf einem Wandmonitor erschien ein Techniker der Transmitteranlage und teilte ihnen mit, dass sie leider gezwungen seien, die geplante Reise leicht vorzuziehen.
Sebastian drückte die Antworttaste am Monitor und fragte, aus welchem Grunde diese Hektik erforderlich wäre.
»Wir haben erhöhte Sonnenaktivitäten registriert«, sagte der Techniker. »Wir werden die Reise innerhalb der nächsten Stunde durchführen, sonst müssen wir das Ende dieser Aktivitäten abwarten. Das kann eine Weile dauern. Die Abstrahlanlage befindet sich am Hinterausgang Ihres Wohnzimmers. Ich schlage vor, Sie machen sich frisch und legen die vorschriftsmäßige Reisekleidung an. Ihr Frühstück erhalten Sie dann bereits am Ziel. Was halten Sie davon?«
Nina war zu Sebastian getreten und sah ihn fragend an.
»Wir haben ja sicher keine andere Wahl, oder?«
»Nicht wirklich«, gab der Techniker zu. »Sonnenaktivität kann den überlichtschnellen Datenstrom schädigen und das wollen Sie nicht.«
Sebastian musste ihm Recht geben, also beeilten Sie sich, zu duschen und die unbequeme Reisekleidung anzulegen. Speziell bei Nina saß sie so schlecht, dass sie sich vorkam wie ein laufender Kleidersack. Sie verließen die Wohnung durch den Hinterausgang. Der Luxus der Suite wurde schlagartig durch die nüchterne Maschinerie der Reiseanlage ersetzt. Ein Heer von Technikern wuselte herum und beschäftigte sich mit für sie unerklärlichen Dingen. Sie wurden vermessen, gewogen, mit Scannern überprüft und anschließend einzeln in je eine Zelle geführt, deren Wände, Boden und Decke aus Spiegeln bestanden.
»Bleiben Sie entspannt und atmen Sie ganz normal«, ermahnte ein Techniker Sebastian. »Stehen Sie ruhig und bewegen sich nur so wenig wie nötig. Bei hektischen Bewegungen kann es schmerzen.«
»Was ist mit meinen privaten Sachen?«
»Werden nachgeschickt. Wir können kein Gepäck mit einem Menschen zusammen versenden. Wenn etwas schief geht, könnte es zu Vermischungen kommen. Das würden Sie nicht überleben.«
»Okay«, meinte Sebastian beunruhigt. Er hatte sich nie wirklich vorgestellt, was bei einem solchen Transport überhaupt geschah.
Der Techniker schloss die Zelle und er war allein. Ein Count-down auf einer der Spiegelwände zeigte ihm, wie lange es bis zur Abstrahlung noch dauerte. Als die Zahl auf Null sprang, blendete ihn ein greller Blitz und er hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, in heißes Öl getaucht worden zu sein – dann war es vorbei. Er fühlte sich etwas schwach und kurzatmig. Als er sich umsah, erkannte er, dass er immer noch in einer Spiegelzelle steckte, doch schien es nicht dieselbe zu sein, denn er entdeckte einen feinen Sprung auf dem Boden, der vorher nicht da gewesen war. Auf einer der Wände blinkte das Wort »drücken«. Sebastian tat es und die Wand schwang zur Seite. Das Erste, was er fühlte, war schneidende Kälte, die den Gang erfüllte, in den er blickte. Er bestand aus roh behauenem Felsgestein und einige Leuchtelemente erhellten ihn notdürftig. Beim Ausatmen bildete sich kondensierender Dampf vor seinem Mund und sein Körper begann zu zittern. War etwas schief gegangen? Er zwang sich, weiterzugehen und hielt auf eine grobe Holztür zu, die er am Ende erkennen konnte. Schwer atmend und vor Kälte schon ganz steif, stieß er sie auf. Dahinter empfing ihn wohlige Wärme und ein Mann in einem karierten Arbeitshemd und mit einer jeansähnlichen Hose bekleidet, erhob sich von einem Stuhl, der neben einem kleinen Feuer stand.
»Hey, ein Neuankömmling!«, rief er. »Willkommen auf Park. Ich heiße William.«
William reichte Sebastian die Hand und drückte sie fest.
»Komm erst mal aus diesem bescheuerten Anzug heraus. Du holst dir ja noch den Tod.«
Dankbar nahm er von William warme Unterkleidung, ein zweckmäßiges Hemd, eine Hose und dicke Socken entgegen.
»Wegen der Schuhe müssen wir schauen. Die sollten genau passen, bevor wir die Station verlassen. Du hast Glück. Beim letzten Warentransport haben sie tatsächlich auch mal grobe, gefütterte Schuhe mitgeschickt. Mit Badelatschen könnte ich dich erschlagen. Du ahnst nicht, wie viel unbrauchbaren Kram die uns schicken.«
Sebastian blickte sich interessiert um. Alles machte einen primitiven und improvisierten Eindruck.
»Wo bin ich hier?«, fragte er. »Das kann doch nicht Park sein.«
»Und ob es das ist. Wir befinden uns in der Einwanderungskontrolle von Paradise City. Du wirst schon sehen, dass wir eine Menge Humor brauchen. Ich weiß allerdings, dass Ihr Neuen euch anfangs damit etwas schwertut. Ich bin ja bereits hier geboren und kenn die gute alte Erde nicht mehr. Nach dem, was man so hört, bin ich aber sicher, dass ich da nicht viel verpasst habe.«
In diesem Moment schwang die Tür wieder auf und eine vollkommen durchgefrorene Nina stolperte herein. Man konnte ihr ansehen, dass sie nicht glauben wollte, was sie sah.
»Soll das hier ein Witz sein? Wo sind die Strände? Was ist das für eine Scheißkälte?«
»Komm rein, mein Engel«, sagte William, der offenbar erfreut war, eine hübsche Frau zu sehen. »Wir haben es hier schön warm. Du suchst dir deine Größe aus dem Stapel der Sachen dort besser selbst raus, okay? Ich weiß ja, dass Ihr Mädels da etwas wählerischer seid. Aber ich muss dich vorwarnen: Das Angebot ist leider äußerst beschränkt.«
Nina blickte zwischen den beiden Männern hin und her. »Da muss doch irgendetwas schief gelaufen sein. Es müsste warm sein, hell … ein Paradies eben.«
»Nichts ist schiefgegangen«, erklärte William. »Ihr wolltet nach Park und dies hier ist Park. Allerdings hat man euch ein kleines Bisschen verarscht, was die Lebensumstände angeht, mit denen wir es zu tun haben.«
»Was soll das heißen?«, fragte Sebastian.
»Also ich denke, man hat euch saubere, klare Luft versprochen«, meinte William lächelnd. »Keine Umweltverschmutzung und nicht diese Überbevölkerung, wie auf der Erde. Ich kann euch versichern: Das alles gibt es hier wirklich nicht. Leider erschöpfen sich damit auch die Wahrheiten, die man euch erzählt hat.«
»Könnten Sie langsam auf den Punkt kommen?«, fragte Sebastian ungeduldig. Nina nickte zustimmend.
»Ach, was soll ich es lang erklären«, sagte William. »Zieht die warmen Sachen an, dann bringe ich euch nach Paradise City zum Bürgermeisterbüro. Heute kommt sowieso niemand mehr an.«
Schweigend und in ihre eigenen Gedanken vertieft, zogen sie die dicke Kleidung an und probierten einige Schuhe, bis sie etwas Passendes gefunden hatten. William ließ ihnen Zeit und reichte am Schluss noch warme Mützen mit Ohrenklappen.
»Fertig?«, fragte er. »Dann kann es ja losgehen.«

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Der letzte Teil dieser Geschichte erscheint am 19.01.2019

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