Gespräch unter Arbeitskollegen
Ich bin an meinem Lieblingsplatz. Hier kann ich weit in die Stadt hineinschauen, die mein Arbeitsgebiet ist und nun auch schon länger meine Heimat. Neben mir sitzt Gabriel. Er ist sozusagen bei der Feuerwehr und wird immer dort eingesetzt, wo es brennt. Manchmal verlieren wir uns lange aus den Augen, aber das hat unserer Freundschaft bislang keinen Abbruch getan. Seit heute ist er wieder meinem Gebiet zugeteilt und ich bin gerade dabei, ihn einzuweisen. Da er ein alter Hase ist, dauert es nur eine halbe Stunde und er ist wieder auf dem Laufenden.
„Sag mal, was macht eigentlich Lydia? Lebt sie noch?“, fragt er mich interessiert.
„Oh ja, letzte Woche hatte ich vier Einsätze wegen ihr“, antworte ich lachend.
„Sie war für mich immer etwas Besonderes“, sagt Gabriel nachdenklich. „Sie ist so schön. Sie leuchtet wie eine Alte, obwohl sie noch so jung ist.“
Sein Piepser ertönt. „Ich muss los“, sagt er noch und ist auch schon weg.
Ich mache es mir gemütlich und genieße die Zeit die mir noch bleibt, bis auch ich zum nächsten Einsatz gerufen werde. Ich mag Gabriel. Er ist mir ähnlich und wir reden, wenn wir uns treffen. Das ist unüblich, mit meinen anderen Arbeitskollegen rede ich nur selten.
Gabriel hat Lydia gut in Erinnerung. Für eine junge Seele hat sie ein seltsames Leben geführt. Sie hat schon als Kind ihre Prioritäten falsch gesetzt. Sie war extrem risikobereit, sodass ich oft im Dauereinsatz nur für sie war. Später hat sie alle Fehler gemacht, die man nur machen kann und trotzdem ihre innere Ruhe nicht verloren. Dabei ist es doch das Privileg der jungen Seelen, rastlos und ohne langfristige Ziele durch das Leben zu rasen und sich selbst dabei zu verlieren. Lydia hat das zwar auch alles getan, aber mit der Einstellung und Ausstrahlung einer alten Seele, die ihre Erfahrungen bereits gemacht hat. Das ist kurios und bislang einzigartig.
Mein Piepser meldet sich. Ich strecke mich und stoße mich ab. Mit kräftigen Flügelschlägen beschleunige ich und halte auf mein Ziel, etwa einen Kilometer entfernt, zu. Ich weiß nicht, was mich dort erwartet, doch das berührt mich nicht. Das ist Teil meines Jobs und ich habe genug Erfahrung, um jede Situation zu meistern.
Als ich mich dem Einsatzort nähere, sehe ich Lydia, wie sie gerade ansetzt, über eine Straße zu laufen. Sie scheint tief in ihren Gedanken versunken zu sein, denn sie schaut sich nicht um und übersieht so den Laster, der gerade rückwärts aus einer engen Einfahrt in die Straße einbiegt.
„Oh nein, altes Mädel“, denke ich. „Noch ist es nicht Zeit für dich.“ Ich lege einen Zahn zu und erwische sie gerade noch rechtzeitig. Mit einem sanften Stoß befördere ich sie aus der Gefahrenzone. Zufrieden sehe ich ihr dabei zu, wie sie verwirrt um sich blickt. Sich wundert, worüber sie gerade gestolpert ist. Ihre Einkaufstasche aufhebt und kopfschüttelnd weiterläuft.