Cyborg – von Saigel
Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr wir uns befinden. Zu lange schon befahre ich die endlosen Straßen des Alls, die mich die Zeit vergessen lassen. Die Schwärze um mich herum hat mich anfangs zu erdrücken versucht, doch heute macht sie mir nichts mehr aus. Die Modifikation meines Augenlichts ist nun vollkommen abgeschlossen. Ich fühle mich wohl in meiner Welt in schwarz-weiß.
Das Raumschiff legt an einem neuen Hafen an. Ich höre die Schreie nur dumpf an meine Ohren klingen, da mein Gehör ebenfalls auf ausdrücklichen Wunsch heruntergeregelt wurde. Meine Hände aus Stahl fahren in die Haken, ziehen sie zur Seite und öffnen die Türen. Herein strömt eine unkenntliche Masse von Menschen, die erst wieder versiegt wenn ich meinen Griff löse. Unbarmherzig schnellen die Türen zurück, ohne Vorwarnung knallen sie ins Schloss, verschließen sich luftdicht und bereiten dem Menschenstrom ein jähes Ende. Abgetrennte Gliedmaßen beseitige ich nachdem ich die Menschen in ihre Quartiere eingewiesen habe. Das Weinen kann ich nicht mehr hören. Selbst die angstverzerrten Gesichter kann ich nicht richtig erkennen, da der Kontrast der Schatten, die die vielen Körper im grellen Licht werfen, die Nuancenfähigkeit meiner Augen übersteigt.
Ich begebe mich auf das Podest, das mich noch einen Meter größer macht und mich vollends über alle Köpfe erhebt. Von dort aus lotse ich mechanisch die Menschen aus dem Wirrwarr in ihre Kojen, wo sie angewiesen sind, auf ihre Injektionen zu warten. Die kleinen Menschen werden gesondert untergebracht, da ihre Injektionen anders zusammengesetzt sind als die der großen Menschen. Immer wieder winke ich welche von ihnen, die mir besonders alt erscheinen, auf die Brücke, wo sie sich der Altersanalyse unterziehen sollen. Sind sie über 140 Jahre alt, werden sie in den Mülltrakt geleitet, der sich kurz nach jedem Start ins All entleert.
Nachdem der letzte Mensch in seiner Koje verschwunden ist, lasse ich die Seniboter aus ihren Kapseln und programmiere die Injektionen. Als ich mir sicher bin, dass alle schlafen, starte ich den Flug.
Die Erde unter uns wird schnell kleiner. Das letzte Mal, als ich noch Farben erkennen konnte, war sie vollkommen braun. Der Wassermangel war schon seit Hunderten von Jahren vorherzusehen, dennoch hat er katastrophale Ausmaße angenommen, die nur schwer in den Griff zu kriegen sind. Die Linie, die ich ansteuere, beträgt 15 Lebensjahre in ein anderes Sonnensystem. Dort siedele ich in einer Kolonie für gewöhnlich die Menschen aus, die den Flug überlebt haben.
Routiniert mache ich mich auf den Weg in den Empfangsraum, wo ich mit einem Eimer Desinfektionssäure die Überreste der Menschen aufräume, die es nicht an Bord geschafft haben. Der Gestank von Müll und frischen Fäkalien liegt noch im Raum, doch ich nehme ihn nur leicht wahr, da mein Geruchsinn schon vor vielen Jahren angepasst worden ist. Ein perfekt ausgeklügeltes Lüftungssystem wird den Geruch von Tod und Angst innerhalb von einigen Tagen vollkommen aufgesaugt und gefiltert haben.
Träge schleppe ich mich durch die Gänge, inspiziere die Kojen, versichere mich, dass alle Atemmasken richtig aufliegen, jedes Gerät seinen lebenserhaltenden Dienst tut und die Türen fest verschlossen sind. Müdigkeit durchzieht mich, die ich zwar dann und wann spüren kann, die sich jedoch nur als Echo eines einstigen Bedürfnisses herausstellt.
Am Ende der letzten Reihe bleibe ich stehen. Blicke in die dunkle Koje, die meiner Rechnung zufolge besetzt sein müsste, sich jedoch als leer erweist. Eilig werfe ich einen Blick auf meinen transparenten Tabloiden, der sich sofort einschaltet und meine Gedanken liest. Die Rechnung bildet sich über einige Seiten ab mit dem eindeutigen Fazit darunter: „Alle Kojen sind besetzt“. Hätte ich noch die Möglichkeit dazu, meine Augenbrauen zu einem verwirrten Gesichtsausdruck zusammenzuziehen, hätte ich es getan. Suchend geht mein Blick in die Kojen um mich herum. Alles schläft nach Ordnung.
Plötzlich schaltet sich der Tabloid wieder ein, scannt die Kojen nach Personen und liefert mir: „Koje 4580 : zwei Personen“. Hastig mache ich mich auf den Weg zu 4580, fahre die Rollen unter meinen Sohlen aus, um mich schneller fortzubewegen.
Dann stehe ich da. Blicke auf das Bild von zwei Personen, eng ineinander verschlungen, beide flach atmend, an ein Gerät angeschlossen, friedlich schlummernd. Ich erinnere mich an vergangene Zeiten auf der Erde. An ein weißes Familienbett, das ich mir mit meinen Eltern und meinem Bruder teilte. Ich erinnere mich an Körperkontakt, an Wärme. Ich erinnere mich an …
Ohne zu zögern schalte ich das Gerät der Koje 4580 aus. Die Menschen darin erwachen nach ein paar Sekunden, drehen ihre Köpfe in meine Richtung. Ich öffne die Tür, hebe die waffenpräparierte Hand und feuere zwei Kugeln, sauber durch zwei Köpfe. Einen Augenblick bleibe ich stehen, die Erinnerungen vergehen. Dann hole ich die Desinfektionssäure.