Voidcall: Das Rufen der Leere – Kapitel 3: Es lauert in den Schatten
Wutentbrannt stampfte Archweyll auf der Brücke auf und ab. Er hatte seinen Männern befohlen, die Leiche des Dunklen Engels zu entsorgen, trotz aller Proteste seitens des Chefmechanikers. Auf dem Schiff hatte immer noch er das Sagen und Bering musste das akzeptieren. Wieder und wieder gingen ihm die Worte durch den Kopf, die er mit Howard gewechselt hatte.
Möglicherweise möchte uns etwas zu sich rufen.
Bei diesem Gedanken musste er schaudern. Zwar war er ein erfahrener Kommandant, aber den tödlichen Gefahren der Leere war er noch nie so direkt ausgesetzt gewesen. Archweyll blickte aus der riesigen gläsernen Frontkuppel in die Unendlichkeit des Warps. Die Dunkelheit hatte sich an sein Schiff geschmiegt wie eine Katze, die aber jederzeit bereit war die Krallen in sie zu versenken. Mittlerweile hatten die ersten Notstromaggregate ihre Arbeit eingestellt. Bald würde auch die Kommandobrücke ohne Energieversorgung dastehen. Das war der Moment, an dem sie restlos verloren waren.
Der Kommandant unterdrückte einen Wutausbruch. Er durfte nicht die Fassung verlieren, sonst würden die Männer und Frauen an Bord es ihm gleichtun.
Plötzlich ertönte aus der Navigatorenkabine ein markerschütternder Schrei, der klang als würden mehrere rostige Sägeblätter in einem schrillen Kampf aufeinandertreffen.
Archweylls Herz machte einen Satz. Dann rannte er los. Er spürte seinen Puls rasen und alle Systeme in ihm waren in Alarmbereitschaft versetzt. Die Hand am Induktionsrevolver schritt er vorwärts.
Das Kreischen nahm kein Ende. Es fühlte sich so an als müsse sein Kopf jede Sekunde zerplatzen wie eine reife Frucht. Sämtliche Nackenhaare stellten sich ihm zu Berge.
Alle Besatzungsmitglieder der Brücke eilten zur Kabine, wo ein Mann zitternd am Boden lag. Blut trat aus seinen Ohren und er schien bewusstlos zu sein. In seiner Hand hielt er ein Funkgerät. Daraus kamen die Schreie.
„Nicht zu nahe an ihn herantreten!“, befahl der Kommandant und zielte mit dem Revolver.
„Nein, nicht!“, schrie Clynnt lautstark und rannte auf Archweyll zu. „Das sind meine Männer! Du kannst sie nicht einfach töten!“
Es knallte laut, als der Induktionsrevolver eine Salve gebündelter Energiekugeln abfeuerte. Mit einem lauten Krachen sprang die Funkanlage entzwei, als die Kugeln detonierten. Funken tanzten wie Irrlichter durch den Raum und eine Rauchwolke hüllte die Kabine ein. Aber das Kreischen war verstummt.
„Holt mir sofort einen Apothekaris hier hoch!“, bellte Archweyll in sein Mikrofon. Sein Blick traf den seines Chefnavigators, welcher schwer atmend vor ihm innegehalten hatte.
„Für einen Moment dachte ich, du willst ihn umlegen“, gestand dieser keuchend.
„Was hätte es uns genutzt? Er ist nicht für diesen Aufruhr zuständig“, merkte der Kommandant achselzuckend an. Dann steuerte er auf die verkohlte Funkanlage zu. „Die wird uns nie wieder anschreien“, stellte er nüchtern fest. Zeitgleich bemerkte er, dass dies automatisch bedeutete, dass ihr Funkkontakt zur Außenwelt für immer verstummt war.
„Sir, was war das gerade?“, fragte eine Navigatorin. Ihr Gesicht war genauso bleich wie ihr Anzug und sie zitterte am ganzen Körper.
„Ich weiß es nicht“, gestand der Kommandant. „Clynnt?“
Bevor dieser etwas erwidern konnte, öffnete sich die Hauptpforte der Kommandobrücke und ein Team, bestehend aus einem Apothekaris und vier mechanischen Assistants, rollte herein. Die vierbeinigen Roboter hievten den Mann auf eine Trage und legten einen Zugang.
„Er hat einen Schock erlitten und sein Trommelfell ist geplatzt“, diagnostizierte der Arzt. „Er sollte bald wieder wohlauf sein. Bis dahin bringen wir ihn in den Krankenflügel.“ Mit einem Nicken verabschiedete er sich und war genauso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war.
Gemurmel machte sich unter der Besatzung breit.
Archweyll war bewusst, dass es ein Ding von wenigen Stunden war, bis sich die Nachricht auf dem ganzen Schiff verbreitet hatte. Was zur Hölle hatte dort Kontakt mit ihnen aufgenommen? Oder war es nur eine Fehlfrequenz gewesen? Hier draußen? Das erschien Archweyll unwahrscheinlich. Unbehagen breitete sich in ihm aus, eine kalte Hand griff geradewegs durch seine Brust und hielt sein Herz eisern umklammert.
„Sir…“, stotterte plötzlich eine unsichere Stimme. Ein Navigator trat aus der Gruppe heraus und deutete in die Kabine, in der sich der Rauch mittlerweile gelegt hatte. Auf den Radarschirmen blinkte es unheilverkündend. Sie waren nicht mehr alleine in der Leere.
Archweyll stieß einen Fluch aus. Ohne Energieversorgung war das Raumschiff ungeschützt. Weder die Deflektorschilde, noch die Torpedobatterien waren aktiv. Lediglich die manuellen Kampfstationen waren einsatzbereit. Gegen einen größeren Gegner waren diese aber praktisch nutzlos.
„Ich komme dann mal hoch“, krähte es plötzlich aus Archweylls Funkgerät. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Howard Bering war der Letzte, den er jetzt sehen wollte. Verärgert musste er sich eingestehen, dass es vermutlich nicht anders ging.
„So ein Signal habe ich noch nie gesehen“, grübelte Cylnnt Volker, während er die Monitore eingehend studierte. „Das ist etwas sehr großes. Aber kein Planet.“
„Planeten gibt es in der Leere nicht“, bestätigte eine Navigatorin. „Wir haben die Galaxiespirale längst hinter uns gelassen. Hier draußen sollte sich nichts befinden.“
„Informiert die Kampfstationen, sie sollen versuchen manuelle Torpedos schussbereit zu machen. Außerdem möchte ich Tamara hier oben sehen und zwar schleunigst. Wenn Howard eintrifft, seid ihr herzlich eingeladen ihm finstere Blicke zuzuwerfen.“ Wenn es brenzlig wurde, ging er auf. In diesen Momenten merkte Archweyll, dass er lebte. Adrenalin schoss durch seinen massigen Körper und er begrüßte es wie einen alten Freund. Howard begrüßte er nicht so. „Du hier? Wie kommen wir zu der Ehre?“
Kalte Blicke trafen aufeinander.
Beim Laufen stützte sich Howard auf einen mechanischen Greifarm, der ein unangenehmes Kratzen hinterließ, wenn er auf den Titanboden traf. Vermutlich beabsichtigt. „Ihr seid nicht die Einzigen, die von unserem Besucher in Kenntnis gesetzt wurden“, gab der Chefmechaniker gleichgültig zu. „Ich habe schließlich auch einen Radarzugang und sämtliche Bordinformationen erscheinen auf meinen Monitoren. Da dachte ich mir, ich beehre euch mit meiner Anwesenheit.“ Er gluckste. Dann wurde seine Miene ernst. „Ich habe einen sauberen Scan des unbekannten Objekts abgeschlossen“, sofort machte sich Gemurmel breit, schwoll an zu einem Getöse von Meinungen.
„Du hast…?“, Archweyll war ehrlich überrascht, „mal wieder über meinen Kopf entschieden!“, beendete er seinen Satz. „Wie kann es sein, dass du Technik besitzt, die besser ist als unsere Standardausrüstung und sie dem Schiff nicht zur Verfügung stellst?“
„Das lässt mich hier überleben“, sagte Howard und sein Blick nahm etwas verschlagenes an. Er überreichte dem Kommandanten das Tablet.
Mit kritischem Blick beäugte Archweyll die Daten. „Das kann doch unmöglich sein“, sagte er und blickte dem Chefingeneur tief in die Augen, um jede Form von Lüge daraus herauszufiltern. Er fand jedoch keine.
Der Scan zeigte eine Raumstation, die Archweyll so noch nie gesehen hatte. Ihr Zentrum bestand aus einer riesigen Konstruktion angeordneter Zahnräder, die weitere, darauf angedockte Module der Station in Bewegung versetzen konnten. Diese Komponenten waren lange spitze Türme, die das ganze Gebilde wie eine stachelbesetzte Kugel aus farblosem Metall erschienen ließen. Und sie war riesig. Jede einzelne Stachel war mindestens doppelt so groß wie ihr Kreuzer, welcher doch schon eine beträchtliche Größe aufwies und sie hatte Dutzende davon.
„Du weißt, dass es nur eine uns bekannte Zivilisation gibt, die zu so etwas in der Lage ist, oder?“, fragte Archweyll seinen Chefmechaniker. Sofort war ihm bewusst, dass die Frage rhetorischer Natur war und keiner Antwort bedurfte.
„Die Dunklen Engel, in der Tat“, bestätigte Howard mit feuchten Augen.
„Bastarde der Leere!“, Clynnt Volker spukte aus, woraufhin ihn der Chefmechaniker mit einem tadelnden Blick strafte.
„Ich würde eher sagen: höhere Lebensformen, die wir noch nicht verstanden haben“, ergänzte er. „Aber ich kann euch beruhigen, es sind keine Engel an Bord dieser Kampfstation.“
Archweyll runzelte die Stirn und Sorgenfalten taten sich wie Schluchten auf. „Wie kann das sein?“, fragte er argwöhnisch.
„Was das angeht, kann ich leider nicht mit Informationen dienen“, der Chefmechaniker deutete eine unterwürfige Verbeugung an. „Aber meine Scans haben keinerlei Lebensformen auf dem Schiff analysieren können. Die Station ist verlassen. Vielleicht wurde sie zurückgelassen. Die Wege der Dunkeln Engel sind unergründlich.“
„Spar dir deine Lobeshymnen“, zischte Clynnt Volker. „Das letzte Mal, als wir auf ihre Zivilisation gestoßen sind, hätten sie die Menschheit beinahe ausgerottet. Und das nur zu ihrem Vergnügen. Es gibt keine abscheulichere…“, er betonte das letzte Wort bewusst voller Abscheu, „Lebensform.“
Howard Bering überging seinen Kommentar mit der Gleichgültigkeit eines gelangweilten Beamten, der sich halbherzig durch seinen Papierkram arbeitete . „Außerdem habe ich eine Messung durchgeführt. Die Ursache der materiellen Verzerrung stammt von diesem Schiff. Wir werden ihm also wohl oder übel einen Besuch abstatten müssen, wenn wir jemals nach Hause kommen wollen“, sagte er trocken.
„Was versteht ein Mutant der Herrlichkeit schon von Heimat?“, Clynnt Volker war drauf und dran auf den Chefmechaniker loszugehen. Nur der erregt zuckende Tentakelarm hielt ihn zurück. Als der Navigator bemerkte, dass der Kommandant in ernsthafte Überlegungen vertieft war, wurde er noch wütender. „Du kannst doch nicht wirklich in Erwägung ziehen ihm zu trauen?“, schrie er außer sich.
Der Kommandant strafte ihm mit einem harten Blick. „Natürlich tue ich das nicht“, erwiderte er gedankenversunken. „Aber angesichts unserer Lage bleibt uns nicht viel übrig, wenn wir diese gähnende Leere endlich hinter uns lassen wollen. Selbst wenn sich die Quelle nicht auf der Station befindet, könnte sie uns eine Möglichkeit bieten nach Hause zu kommen.“ Archweyll wusste, dass diese Worte mehr als die Hälfte der Besatzung mit neuem Mut und dem nötigen Willen versorgen würde, der für ihre Mission notwendig war. Innerlich hatte er sich längst entschieden, auch wenn er Howard Berings Worten nicht einen Deut traute. „Ich werde einen Stoßtrupp zusammenstellen. In einer Stunde möchte ich die Entertorpedos einsatzbereit wissen.“
Clynnt zuckte zusammen. „Aber die automatischen Zielvorrichtungen sind außer Betrieb. Du weißt, was das heißt, oder?“, schluckte er.
„Aye, das weiß ich“, antwortete der Kommandant und legte ein Lächeln auf. „Es heißt, dass ihr besser verdammt gut zielt.“